- Nachdem der ADFC schon in einem Beitrag der Südwestpresse vom 3.6.2015 seine Sicht der Dinge ungeprüft und ohne Nennung belastbarer Nachweise veröffentlichen durfte, durfte dies nun auch der BUND in einem weiteren Beitrag der Südwestpresse vom 25.7.2015 tun.
Mit der Argumentation (bzw. den reinen Behauptungen und Meinungen) des ADFC setzten wir uns schon in der “Analyse der Petition der SPD” im Abschnitt “Mythos Sicherheit” auseinander.
Dem Beitrag des BUND widmen wir eine eigene Seite, weil die dort aufgestellten Behauptungen dermaßen fragwürdig sind, dass wir über diesen Weg den anscheinend für den Artikel Verantwortlichen Herrn Reiner Frohnmüller von der BUND-Gruppe Wiblingen gerne nach Quellen und Nachweisen seiner Behauptungen fragen wollen.
Im Artikel heißt es:
“Die Tempo-Herabsetzung hat die Sicherheit von Radfahrern und Fußgängern in diesem Bereich signifikant erhöht. Seit Einführung ist es zu keinen bekannten riskanten Situationen mit Radfahrern gekommen. Zusätzlich hat sich seit Einführung von Tempo 30 die Zahl der Radfahrer entlang der Hauptstraße deutlich erhöht”, heißt es zur Begründung weiter.
Dazu vermissen wir Quellen oder sonstige Nachweise, die belegen, dass sich die Sicherheit von Radfahrern und Fußgängern in diesem Bereich tatsächlich signifikant erhöht hat. Frage an den BUND-Kreisverband Ulm, bzw. Reiner Frohnmüller:
Wie lauten die Unfallzahlen vor und nach Einführung von Tempo 30, jeweils im selben Beobachtungszeitraum?
Welche Sekundäreffekte wurden berücksichtigt, sofern es Abweichungen gibt?
Wie haben Sie ermittelt, ob es seit Einführung der Maßnahme zu keinen bekannten riskanten Situationen mit Radfahrern gekommen ist? Woher wollen Sie das wissen, sind Sie die Stelle, an die alle Radler berichten, wenn es mal eine gefährliche Situation gab? Haben die Radler vor der Maßnahme jede gefährliche Situation an Sie berichtet? Haben Sie genau Buch geführt und können Sie die exakten Zahlen vor und nach der Maßnahme vorlegen? Haben Sie die Polizeibehörde befragt?
Woher wollen Sie wissen, ob sich die Zahl der Radfahrer entlang der Hauptstraße aufgrund der Maßnahme deutlich erhöht hat? Haben Sie Verkehrszählungen vorher und nachher durchgeführt? Wie lauten die exakten Zahlen? Liegt eine vielleicht subjektiv wahrgenommene Zunahme nicht vielleicht eher am außergewöhnlich guten (und lang anhaltend guten) Wetter, als an der Maßnahme selbst?
Anhand dieser Fragen sehen Sie, werter Leser, wie wenig Substanz hinter den Behauptungen stehen kann. Wie wahrscheinlich ist es, dass der BUND oder auch Herr Frohnmüller belastbare Zahlen haben? Glauben Sie im Ernst, die hätten Zählungen vorher und nachher gemacht? Jedenfalls waren bisher keine Verkehrszähler zu sehen, die eine ganztägige und auf mehrere Tage verteilte Zählung vorgenommen hätten. Glauben Sie im Ernst, dass alle “gefährlichen Situationen bekannt werden”, wie im Artikel formuliert? Ferner wäre der Beobachtungszeitraum viel zu kurz, um statistisch signifikante Aussagen für einen Vergleich zu erhalten.
Und genau so geht es weiter:
Frohnmüller sagte, dass das Queren der Hauptstraße bei Tempo 30 gefahrloser möglich sei und sich die Wohn- und Lebensqualität der Anwohner merklich verbessert habe.
Auch Frohnmüller argumentiert, wie andere vor ihm, mit dem absurden Argument, dass das Queren der Hauptstraße bei Tempo 30 gefahrloser möglich sei. Dazu folgende Anmerkungen und Fragen an ihn:
In Wiblingen gibt es entlang der hier relevanten Strecke ca. alle 200 m eine Querungshilfe (siehe Karte), entweder als Verkehrsinsel (v.a. dort, wo Radler queren müssen), Zebrastreifen oder Fußgängerampel. An letzteren beiden hat der Querende vor dem KFZ Vorrang. Wie soll dann eine Querung bei 30 leichter gehen, als bei 50, wenn in beiden Fällen das KFZ zum Stillstand gezwungen wird?
Dort, wo es “nur” eine Verkehrsinsel ohne Zebrastreifen gibt, nämlich am Ortseingang von Wiblingen (Punkt B im Bild, kein Zebrastreifen wie das Symbol vermuten ließe), gibt es vielleicht noch eine klitzekleine Verbesserung für Radler und Fußgänger – sie haben etwa zwei Sekunden mehr Zeit um eine Fahrbahn zu queren (Annahme: 100 m Fahrstrecke des KFZ während der Querung, KFZ fährt 40 km/h statt 50 km/h, wie die Praxis und wissenschaftliche Untersuchungen zur 30er-Limits zeigen). Das allerdings ist kein relevanter Gewinn, der derartige Maßnahmen rechtfertigen würde – selbst nicht bei Reduktion von 60 auf 40, mit dann drei Sekunden Gewinn. Außerdem ist die getroffene Annahme zu großzügig, da das erste 30er-Schild keine 100 m von der Verkehrsinsel entfernt steht. Damit gilt die Annahme nur für eine der beiden Fahrtrichtungen, für die andere gibt es keine relevante Verbesserung.
Dass sich die Wohn- und Lebensqualität der Anwohner merklich verbessert habe, bleibt der BUND bzw. Herr Frohnmüller auch schuldig zu beweisen.
Haben Sie representative Umfragen dazu gemacht? Wo sind die exakten Zahlen? Wie soll das nachvollziehbar korrekt sein, wenn doch wissenschaftliche Untersuchungen belegen [1, 2, 3, 4], dass mit derartigen Maßnahmen keine gute Reduktion der Geschwindigkeit einhergeht, mangels Akzeptanz der Maßnahme, und selbst bei voller Akzeptanz die Lärmwerte nur in der Region um die 2 dB(A) sinken, was subjektiv fast nicht wahrnehmbar ist?
Wie bringt der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) die bei Tempo 30 im Vergleich zu Tempo 50 steigenden Emmissionswerte und den steigenden Kraftstoffverbrauch [3, 4, 5, 6] in Einklang mit seinem Ziel, dem Umweltschutz?
Wie bringt der BUND den höheren Verschleiß, und damit die vorzeitige Abnutzung und daraus resultierend frühere Entsorgung von KFZ-Komponenten, bedingt durch Betrieb des Fahrzeugs in suboptimalem Drehzahlbereich und damit sinkendem Drehmoment, in Einklang mit seinen Zielen von Umwelt- und Naturschutz?
Wird man durch stärkeres Abbremsen am Ortseingang nicht eher mit einer Zunahme durch Feinstaub von Abrieb und Partikeln aufgrund höherer Emissionen rechnen müssen? Und wie ist das mit dem Naturschutz vereinbar?
Wie soll der ÖPNV attraktiver werden, wenn auch dessen Fahrtzeiten steigen, bloß weil Anwohner gerne weniger Lärm hätten?
Auch hier nur unbelegte Behauptungen und Meinungen und teils dem eigenen erklärten Ziel kontraproduktive Forderungen.
Aber auch wir Befürworter von Tempo 50 sind ja auch keine Unmenschen. Wenn man uns mit Hilfe von belastbaren Beweisen, unvoreingenommen und ergebnisoffenen wissenschaftlichen Untersuchungen konkret für die Maßnahme vor Ort davon überzeugt, dass Tempo 30 in einem Abschnitt wirklich sinnvoll ist, d.h. die Maßnahme sowohl nötig als auch effektiv ist, dann werden auch wir uns nicht dagegen stellen. Daher haben wir eine Anfrage an die Ortsgruppe Ulm-Wiblingen des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Landesverband Baden-Württemberg e.V.) gestellt, deren Fragen in etwa wie oben lauten. Sofern diese beantwortet werden und einer Veröffentlichung zugestimmt wird, stellen wir unsere Anfrage und das Antwortschreiben dann demnächst auf dieser Seite zum Download zur Verfügung.
Bis wir anhand von nachprüfbaren Fakten eines besseren belehrt werden, halten wir Tempo 30 für den Abschnitt in Wiblingen für Unsinn. Weder werden Lärmwerte erreicht, die eine Lärmschutzmaßnahme dieser Art rechtfertigten, noch wurden andere, weniger rechtsbelastende Maßnahmen zuvor ergriffen (Förderung von Lärmschutzfenstern, Verstetigung des Verkehrs, Flüsterasphalt, lärmarme Schachtabdeckung, Beschränkung nur auf Nachtruhezeiten). Auch ein Sicherheitsproblem existiert dort nicht, und ebenso wenig ein Problem mit übermäßiger Schadstoffbelastung. Das Regierungspräsidium Tübingen hat exakt dies festgestellt, und dennoch versuchen (ideologisch motiviert?) Leute und Lobbygruppen mit diesen Argumenten zu kommen, die den bereits festgestellten Fakten widersprechen.
Update
Etwa einen Monat nach meiner Anfrage ging ein Antwortschreiben ein. Leider passierte, was ich erwartet hatte, denn alles in Frage gestellte wurde eben nicht mit Quellen und Nachweisen belegt, sondern nur um weitere Behauptungen ohne Nachweise ergänzt. Meine Anfrage, ob ich beide Briefe (meinen und die Antwort) veröffentlichen dürfe, wurde unbeantwortet gelassen, daher kann ich nur allgemein berichten.
Man bemühte sich zwar, anhand von persönlich Erlebten oder Wortmeldungen Dritter, einige Aussagen zu untermauern, aber leider sind Einzelbeobachtungen keine Nachweise. Als Indiziengeber akzeptiere wir das aber natürlich, denn auch wir nutzen teilweise unsere Beobachtungen für unsere Argumentation, ohne für 100 % unserer Aussagen Beweise zu haben. Insofern war die Antwort fruchtbar und auch uns eine Hilfe, die Gegenseite besser zu verstehen., aber nicht unsere Position zu verändern.
Erschreckend war, dass sich bezüglich der Bewertung von Lärm ein paar Wissenslücken auftaten. -3 dB(A) entsprechen eben nicht der Halbierung des Lärms, wie vom BUND behauptet wurde, sondern der Halbierung des Verkehrs [7, 8]. Eine Halbierung des Lärms liegt erst bei -10 dB(A) des Lärmmittelungspegels vor, was einer Reduktion der Verkehrsmenge um 90 % (also der Zehntelung) entspräche [7, 8]. Dieser Verwechslung der Fakten unterliegen viele Laien, aber zur Beurteilung, ob eine Lärmschutzmaßnahme etwas bringt, ist das Verständnis der zugrunde liegenden Zahlen und Einheiten eklatant wichtig. Unsere Aussage, dass eine Änderung des Lärmmittelungspegels um 3 dB(A) gerade der Schwelle entspricht, aber der das menschliche Gehör überhaupt erst eine Änderung wahrnimmt [3, 7, 8], wurde auch angezweifelt. Aber bitte, unten finden Sie die Quellenangaben dazu, das kann nun jeder selbst nachprüfen.
Zitat aus [7, Seite 36] :
Die Schallleistung (in Watt) und die Schallintensität (W/m2) verzehnfachen sich in Schritten von je 10 dB. Einem Leistungsverhältnis 1:2 entspricht der Schallpegelunterschied 3 dB.
Für Fragen des Schallschutzes bedeutsam ist der Sachverhalt, dass die Lautheitsempfindung des Menschen gleichfalls einer Potenzfunktion folgt, nach der eine um den Faktor 10 erhöhte Schallleistung bzw. eine Schallpegelzunahme um 10 dB als Verdoppelung der Lautheit empfunden wird.
Zitat aus [3, Seite 1] :
Da das menschliche Gehör nur eine Lärmänderung von 3 dB(A) wahrnehmen kann (so auch der aktuelle Stand der Rechtssprechung), trägt ein Tempolimit nicht nennenswert zur Verbesserung der Lärmsituation bei.
Zitat aus [7, Seite 43 ] , das zeigt, dass halb so lauter aber doppelt so lange einwirkender Lärm zu exakt demselben Lärmpegel führt:
Wie aus den Regeln der energetischen Pegeladdition und Mittelung leicht abzuleiten ist, gilt im Übrigen:
- Eine Halbierung (Verdoppelung) der Einwirkungszeit eines Geräusches vermindert (erhöht) seinen Mittelungspegel um 3 dB.
- Eine Halbierung (Verdoppelung) der Schallleistung eines Geräusches vermindert (erhöht) seinen Mittelungspegel gleichfalls um 3 dB.
Zitat aus [7, Seite 141 ] , zum Nachweis, dass 3 dB der Verdoppelung (-3 dB zur Halbierung) der Verkehrsmenge entspricht. Ferner sieht man, dass der Autoverkehr im Vergleich zum LKW (und dann auch Busverkehr) nur eine untergeordnete Rolle spielt:
Die Kraftfahrzeugmenge hat einen großen Einfluss auf die Lärmbelastung. Dabei erhöht eine Verkehrsverdoppelung den Lärmpegel um 3 dB, und umgekehrt verringert sich der Lärmpegel um 3 dB, wenn sich die Verkehrsmenge halbiert.
Zudem trägt der Lkw-Anteil wesentlich zur Lärmerzeugung bei. Lärmreduzierung ist demnach durch eine Verminderung der Verkehrsmenge insbesondere auch bei den Lkw zu erreichen. Im innerstädtischen Verkehr entsprechen etwa zwanzig Pkw einem Lkw, auf Autobahnen ist ein Lkw etwa so laut wie fünf Pkw.
Zur Effektivität von Geschwindigkeitssenkungen von T50 auf T30 [7, Seite 145]:
Bei einer Verringerung der Geschwindigkeit von 50 km/h auf 30 km/h wird eine Minderung des Mittelungspegels von ca. 2,5 dB(A) erreicht.
Das sind nicht einmal die nötigen 3 dB(A), aber der man eine Lautstärkeänderung sicher wahrnimmt!
Zitat aus [8]:
Die Veränderungen von Verkehrsgeräuschen bis ca. 3 dB(A) werden vom menschlichen Ohr kaum wahrgenommen.Erst eine Verringerung von ca. 10 dB(A) empfindet der Mensch als „Halbierung“ der Lautstärke.Dies entspricht einer Verringerung der Verkehrsstärke um 90 % also z.B. von 20.000 auf 2.000 Fahrzeuge.
Quellen:
[1] Düring, Ingo; Lohmeyer, Achim; Pöschke, Franziska: Einfluss von verkehrsberuhigenden Maßnahmen auf die PM10-Belastung an Straßen, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Verkehrstechnik, Heft V 189, Bergisch Gladbach, Januar 2010
[2] Retzko, Hans-Georg; Korda, Christian: Auswirkungen unterschiedlicher zulässiger Höchstgeschwindigkeiten auf städtischen Verkehrsstraßen, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Verkehrstechnik, Heft V 65, Bergisch Gladbach, April 1999
[3] ADAC zur Sache: Keine Vorteile für die Umwelt durch Tempo 30, ADAC e.V., Ressort Verkehr, Oktober 2009
[4] Michael Niedermeier: Position des ADAC zu Tempo 30, Präsentation des ADAC auf der Fachtagung Tempo 30, Berlin, 13. November 2012; Umweltbundesamt, Arbeitsring Lärm der DEGA e. V. und ADAC e.V.
[5] Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg: Vermessung des Abgasemissionsverhaltens von zwei Pkw und einem Fahrzeug der Transporterklasse im realen Straßenbetrieb in Stuttgart mittels PEMS-Technologie, Abschlussbericht, Mai 2011
[6] Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg: Tempolimits von 30 oder 40 km/h verbessern nicht zwangsläufig die Luftqualität.
[7] Ministerium für Verkehr und Infrastruktur BadenWürttemberg: Städtebauliche Lärmfibel Hinweise für die Bauleitplanung, Dezember 2013, ISBN 9783000445972
[8] Präsentation: Lärmschutz an Straßen Grundlagen und Möglichkeiten, Hessen Mobil Straßen und Verkehrsmanagement