Und wieder passiert es, langsam wird der Gürtel immer enger geschnallt und man wird von immer mehr Tempo-30-Beschränkungen heimgesucht. So berichtet nun jüngst die Südwestpresse vom 15.06.2015, dass auch in Neu-Ulm mehr Geschwindigkeitsbeschränkungen eingeführt werden sollen.
Doch was tun als Betroffener? Die Sache ist eigentlich ganz einfach, wenn man eben nur weiß, wie es geht. Als Betroffener einer Änderung der Verkehrsbeschilderung haben Sie ein Jahr ab Kenntnisnahme Zeit, dagegen per Widerspruch vorzugehen. Wie das geht, erläutere ich im Folgenden. Zuvor weise ich aber ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei den gemachten Aussagen um mein persönliches Verständnis der Dinge handelt und die dargestellten Informationen keine Rechtsberatung darstellen und keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben übernommen wird. Bitte informieren Sie sich auch aus anderen Quellen, um meine Angaben zu verifizieren. Im Zweifelsfall oder komplexen Sachverhalten hilft Ihnen ein Rechtsanwalt weiter.
Fristen für das Widerspruchsverfahren
Um Widerspruch gegen ein aufgestelltes Verkehrszeichen jeglicher Art (wie eine Geschwindigkeitsbeschränkung) einzulegen, haben Sie ein Jahr ab Kenntnisnahme Zeit. Es gab in der Vergangenheit andere Rechtsauffassungen, nach der es auf die Kenntnisgabe ankäme, wie bspw. im Zitat VGH Mannheim vom 02.03.2009:
Die (regelmäßig einjährige) Frist für die Anfechtung eines Verkehrszeichens beginnt für alle Verkehrsteilnehmer unabhängig von ihrer konkreten Betroffenheit bereits mit dessen ordnungsgemäßer Aufstellung als einer besonderen Form der öffentlichen Bekanntgabe.
Dazu entschied dann aber das BVerwG am 23.09.2010:
Die Frist für die Anfechtung eines Verkehrsverbotes, das durch Verkehrszeichen bekannt gegeben wird, beginnt für einen Verkehrsteilnehmer zu laufen, wenn er zum ersten Mal auf das Verkehrszeichen trifft. Die Frist wird für ihn nicht erneut ausgelöst, wenn er sich dem Verkehrszeichen später ein weiteres Mal gegenübersieht.
Eben jener VGH Mannheim musste dann seine Enscheidung vom 02.03.2009 zurücknehmen und urteilte am 10.02.2011 wie folgt:
Die Frist für die Anfechtung eines Verkehrsverbots, das durch Verkehrszeichen bekannt gegeben wird, beginnt für einen Verkehrsteilnehmer erst zu laufen, wenn er zum ersten Mal auf das Verkehrszeichen trifft (im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 23.09.2010 – 3 C 37.09 -, NJW 2011, 246). An der hiervon abweichenden, im Beschluss vom 02.03.2009 – 5 S 3047/08 -, JZ 2009, 738, vertretenen Auffassung hält der Senat nicht mehr fest.
Legen Sie deshalb konkret dar, wann Sie das Schild zum ersten mal sahen, denn ab dann beginnt erst die Frist zu laufen.
Wer kann Widerspruch einlegen?
Jeder. Zitat BVerwG v. 21.08.2003:
Die Klagebefugnis eines Verkehrsteilnehmers gegen ein Verkehrszeichen, mit dem er bereits konfrontiert worden ist, setzt nicht voraus, dass er von dem Verkehrszeichen nach seinen persönlichen Lebensumständen in einer gewissen Regelmäßigkeit oder Nachhaltigkeit tatsächlich betroffen wird.
Prüfung auf Erfolgsaussichten
Eine Grundvoraussetzung für Ihr Widerspruchsverfahren sollte ein zumindest möglicher Aussicht auf Erfolg sein. Machen Sie sich also kundig, unter welchen Voraussetzungen ein Verkehrsschild rechtmäßig aufgestellt werden kann, und wann nicht, und machen Sie dann eine eigene Einschätzung, ob in Ihrem Fall ggf. begründete Sachverhalte das Aufstellen des Verkehrsschilds rechtfertigen. Lesen Sie dazu §45 der Straßenverkehrsordnung (§45 StVO), online bspw. hier, hier oder hier zu finden.
Ein Recht auf Einschränkungen allgemeiner Bestimmungen der StVO (wie auch der Regelgeschwindigkeit von 50 km/h innerorts) ist gegeben, wenn dies “aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs” nötig wäre. Ein Auszug der wichtigsten Gründe im Falle einer dauerhaften Geschwindigkeitsbeschränkung aus §45 StVO wären:
- Verhütung außerordentlicher Schäden an der Straße.
- Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen.
- Innerhalb von Bade- und heilklimatischen Kurorten oder Luftkurorten.
- In Erholungsorten von besonderer Bedeutung, in Landschaftsgebieten und Ortsteilen, die überwiegend der Erholung dienen.
- In der Nähe von Krankenhäusern und Pflegeanstalten.
- In unmittelbarer Nähe von Erholungsstätten außerhalb geschlossener Ortschaften, wenn dadurch anders nicht vermeidbare Belästigungen durch den Fahrzeugverkehr verhütet werden können.
Die gerne zitierten Gründe von “Gebieten mit hoher Fußgänger- und Fahrradverkehrsdichte sowie hohem Querungsbedarf” sind nur Gründe für die Errichtung von Tempo-30-Zonen, haben also mit Durchgangsstraßen, die ganz oder abschnittsweise eingeschränkt werden sollen, nichts zu tun. Tempo-30-Zonen sind von Tempo-30-Abschnitten entlang von Einzelstraßen klar abzugrenzen, zumal innerhalb von Tempo-30-Zonen der Grundsatz “rechts vor links” gilt, wenn keine anderweitige Beschilderung explizit anderes regelt. Dazu heißt es konkret in §45 Abs. 1c Sätze 2, 3 und 4:
Die Zonen-Anordnung darf sich weder auf Straßen des überörtlichen Verkehrs (Bundes-, Landes- und Kreisstraßen) noch auf weitere Vorfahrtstraßen (Zeichen 306) erstrecken.
Sie darf nur Straßen ohne Lichtzeichen geregelte Kreuzungen oder Einmündungen, Fahrstreifenbegrenzungen (Zeichen 295), Leitlinien (Zeichen 340) und benutzungspflichtige Radwege (Zeichen 237, 240, 241 oder Zeichen 295 in Verbindung mit Zeichen 237) umfassen.
An Kreuzungen und Einmündungen innerhalb der Zone muss grundsätzlich die Vorfahrtregel nach § 8 Absatz 1 Satz 1 („rechts vor links“) gelten.
Nachdem nun oben die relevantesten möglichen Begründungen für eine Geschwindigkeitsbeschränkung genannt sind, regelt §45 StVO Absatz 9 die näheren Umstände. Er ist nicht ausreichend, einfach nur einen “Schutz vor Lärm oder Abgasen” haben zu wollen, sondern dazu muss auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage bestehen, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt. Das regelt §45 Abs. 9, Satz 2:
Abgesehen von der Anordnung von Schutzstreifen für den Radverkehr (Zeichen 340) oder von Fahrradstraßen (Zeichen 244.1) oder von Tempo 30-Zonen nach Absatz 1c oder Zonen-Geschwindigkeitsbeschränkungen nach Absatz 1d dürfen insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.
Genau darin liegt meist der Knackpunkt, den es zu prüfen gilt. Gibt es Belege für übermäßige Lärmbelastung der Anwohner? Gibt es Belege für übermäßige Abgasbelastung? Gibt es eine ungewöhnlich hohe Gefahr (Unfallhäufungen, Unfallschwerpunkt)? Liegen Krankenhäuser und Pflegeanstalten unmittelbar an der Strecke?
Wenn Sie der Auffassung sind, dass keine der o.g. oder in §45 StVO genannten Voraussetzungen vorliegen, dann macht Ihr Widerspruchsverfahren vermutlich Sinn. Lassen Sie sich nicht von Artikeln in der örtlichen Presse beeindrucken, sie geben oft genug auch nur Meinungen wider und keine fundierten Fakten.
Widerspruchsstelle
An wen sich Ihr Widerspruch richtet, hängt von der Behörde ab, die den Verwaltungsakt erlassen hat (hier: Aufstellen eines Verkehrszeichens). Der Widerspruch ist in der Regel an die nächsthöhere Behörde zu richten (§73 VwGO). Im Falle der Stadt Ulm als Straßenverkehrsbehörde innerhalb ihrer Stadtgrenzen wäre das Regierungspräsidium Tübingen die nächsthöhere Behörde. Im Zweifel fragen Sie einen Anwalt oder recherchieren gründlich selbst nach. Wenn man das allgemeine Verfahren des Landes Baden-Würrtemberg hier nachliest, dürfte man den Widerspruch auch an die Behörde selbst richten, die den Verwaltungsakt erlassen hatte, und diese muss dann – wenn Sie den Widerspruch unverändert lassen will – diesen an die zuständige (nächsthöhere) Widerspruchsbehörde selbst weiterreichen, die dann letztlich den Bescheid erlässt.
Widerspruchsform
Ihren Widerspruch können Sie formlos einreichen, das heißt, sie schreiben einen eigenen, freien Text, in dem Sie darlegen, gegen welches oder welche Verkehrszeichen Sie Widerspruch einlegen wollen (Standort) und warum (bspw. keine erhöhre Gefahrenlage ersichtlich oder keine erhöhte Lärmbelästigung). Nachweise müssen Sie nicht führen, sollten aber, wo verfügbar, beigelegt werden, um Ihre Chancen zu erhöhen. Wenn Sie bspw. aus der örtlichen Presse wissen, dass nur der “Wunsch nach weniger Lärm” besteht, dann dürfte in der Regel auch die Straßenverkehrsbehörde kein belastbares Lärmgutachten besitzen und Sie können geltend machen, dass Ihres Wissens nach kein belastbares Lärmgutachten existiert, das eine Geschwindigkeitsbeschränkung rechtfertigte. Im Zweifel muss derjenige Nachweise führen, der etwas an der bestehenden Situation änderte, dass die Änderung gerechtfertigt war, nicht Sie als jemand, der “die alten” Verhältnisse beibehalten will.
Trotzdem, je mehr Aussagen Sie belegen können, um so besser. Zitieren Sie dazu auch Zeitungsartikel, wenn dort bspw. bereits geschrieben wurde, dass laut Aussage der Polizei keine Unfallhäufungen existieren. Wenn Sie konkrete Benachteiligungen nachweisen können (auch per eigener Rechnung), um so besser. Nehmen wir an, Sie wären ein Busunternehmen und erleiden etwa 1 Minute zusätzlichen Fahrtaufwands pro Strecke, dann können Sie konkret einen wirtschaftlichen Schaden errechnen, den Sie erleiden (Verzögerung mal Häufigkeit mal Personalstundenkosten). Wenn dadurch auch noch Ihr Fahrplan ins Wanken kommt, Nachweise führen, dass dies zu großer Mehrbelastung führt.
Versandform
Ihren Widerspruch sollten Sie per Einschreiben an die zuständige Behörde senden, denn Sie müssen den fristgerechten Versand nachweisen können. Im Zweifel können Sie zur Fristwahrung auch per Fax den Widerspruch absenden und das Faxprotokoll ausdrucken, ggf. müssen Sie aber ein echt unterschriebenes Papierexemplar nachreichen.
Kosten eines Widerspruchs
Wenn Sie einen Widerspruch einlegen wird ein Widerspruchsverfahrern eingeleitet, das in einen Bescheid mündet. Die Kosten des Verfahrens trägt derjenige, der unterliegt, wobei auch ein teilweises Unterliegen vorkommen kann, bei dem dann die Kosten anteilig je nach Erfolg verteilt werden. Wenn Sie also mit Ihrem Widerspruch vollen Erfolg haben, zahlen Sie nichts. Wenn Sie teilweise Erfolg haben, zahlen Sie anteilig. Sagen wir, Sie hätten zu 70% Erfolg, dann zahlen Sie 30% der Kosten (und die angefochtene Behörde 70% der Kosten). Die Kosten liegen in der Regel zwischen mindestens 20 und maximal 5.000 Euro, je nach Widerspruchsverfahren, wobei es für einen einfachen Streit um Verkehrszeichen eher im unteren Bereich von wenigen hundert Euro geht.
Macht das Sinn?
Eindeutig ja, sofern Sie oben genannte Regeln beherzigen. Wenn Sie vorab wissen, dass eine Verkehrsmaßnahme rechtswidrig ist oder fragwürdig ist, lohnt es sich, das per Widerspruchsverfahren überprüfen und feststellen zu lassen. Sie
- machen den Behörden klar, dass nicht jede Maßnahme widerstandslos hingenommen wird (selbst, wenn Sie verlieren),
- helfen anderen, die diese Möglichkeit nicht kennen, auch deren Rechte zu verteidigen,
- treten gegen ideologisch oder rein politisch motivierte Rechtebeschneidungen ein,
- verteidigen auch ihr eigenes gutes Recht und ihre Freiheit.
Eilverfahren zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches
Bei normalen Verwaltungsakten, bei denen Sie persönlich einen Bescheid nebst Rechtsbehelfsbelehrung erhalten, können Sie den Widerspruch einlegen, bevor der Verwaltungsakt Rechtskraft erlangt und damit eine aufschiebende Wirkung erzielen (es gibt Ausnahmen, insbesondere wenn es um Festsetzung zu zahlender Gebühren geht). Im Falle eines aufgestellten Verkehrszeichens können Sie logischerweise keine aufschiebende Wirkung mit Ihrem Widerspruch erzielen, weil das Schild dann schon steht. Bei Verkehrszeichen handelt es sich um Verwaltungsakte in der Form von Allgemeinverfügungen gem. § 35 S. 2 VwVfG, die der Anordnung eines Polizeibeamten gleichgesetzt sind und somit sofort vollziehbar sind (BVerwG Urt. v. 13.12.1979 (7 C 46/78)).
Sie sind aber – neben der Anfechtung durch das Widerspruchsverfahren selbst (und bei Mißerfolg ggf. nachfolgender Anfechtungsklage) auch gemäß § 80 VwGO bereits neben dem Widerspruchsverfahren (Haupt(vor)verfahren) per Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht anfechtbar, konkret durch den an das Verwaltungsgericht gerichteten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches, bzw. in diesem Falle – da der Verwaltungsakt durch Aufstellung des Schildes bereits vollzogen ist – den Antrag zur Aufhebung der Vollziehung. Die Eilentscheidung des Verwaltungsgerichtes soll nur dafür sorgen, dass der Verwaltungsakt bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache (also Widerspruchs- und ggf. Verwaltungsgerichtsverfahren) nicht vollzogen bzw. bis zu dieser Entscheidung ausgesetzt wird. Die theoretische Anfechtbarkeit sagt aber noch nichts über die Erfolgsaussichten aus.
Im Falle von Verkehrszeichen muss man hier sehr vorsichtig sein, denn bei einem Streit um ein Verkehrsschild hat ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO im Regelfall keine Aussicht auf Erfolg, weil es dem Betroffenen grundsätzlich zuzumuten ist, den Sofortvollzug hinzunehmen und den Ausgang des Hauptsacheverfahren abzuwarten, und weil das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig das private Interesse an der Beseitigung eines Verkehrsschildes überwiegt. Sie werden nur dann Erfolg mit einem derartigen Antrag haben, wenn eine massive Rechtsverletzung vorliegt oder absolut offentkundig ist, dass das aufgestellte Verkehrsschild rechtswidrig ist. Die Klärung, welcher Fall vorliegt, sollte unbedingt von einem erfahrenen Rechtsanwalt erfolgen.
Weiterführende Informationen
Weiterführende Informationen des Landes Baden-Württemberg finden Sie hier, alledings geht es dort ganz allgemein um Widerspruchsverfahren und nicht um die speziellen Bedingungen bei Verkehrszeichen.
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